Am 25.12.2017 hörte ich gegen 12 Uhr Mittag Rabenkrähen vor unserer Haustüre schreien. Ein Geräusch welches ich mittlerweile als ein Indiz für die mögliche Anwesenheit eines Greifvogels nutzte. Wir hatten grade ein gemütliches Weihnachtsfrühstück beendet und so nutze ich die Gelegenheit für einen Spaziergang. „Ich bin kurz draußen, ich glaube einer der Greifvögel ist in der Nähe!“ rief ich noch und verließ das Haus, meine Kamera natürlich im Schlepptau. Als ich mich dem Park näherte vernahm ich sowohl aufgeregte Rabenkrähen als auch Halsbandsittich rufen und beobachtete das Geschehen am Himmel sehr aufmerksam. Die Rabenkrähen kreisten über den Walnussbaum, während die Halsbandsittiche sich im Geäst eines Kastanienbaums niederließen. Sehr verdächtigt. Mit langsamen Schritten näherte ich mich dem Walnussbaum, bedacht drauf nicht aufzufallen blieb ich immer wieder stehen und suchte den Baum nach dem vermuteten Greifvogel ab. Andere Parkbesucher die an mir vorbeigingen schätzten mich mit fragenden Blicken ab und ich muss zugeben, dass sie und ihre Hunde mir in diesen Augenblick eher ungelegen erschienen. Ich ignorierte sowohl die Personen als auch die Hunde und suchte weiterhin den Baum ab. Meine Augen scannten jeden Ast, jede Bewegung im spärlichen Laub. Kohlmeisen, Kleiber und Waldbaumläufer flogen munter auf und ab und die Rabenkrähen suchten das Weite. Ich seufzte, vielleicht hatte ich mich doch getäuscht? Aber irgendetwas in mir sagte mir: „Nein, irgendeiner der beiden ist anwesend, guck weiter!!“ Also schritt ich langsam weiter auf den Baum zu, den Blick starr nach oben gerichtet und dann entdeckte ich ihn, -perfekt getarnt. Ob es sich um den Bussard oder Habicht handelte konnte ich in dem Moment noch nicht genau sagen, denn ich blickte auf den Rücken des Vogels. Auf den ersten Blick sah dieser aus wie ein dicker Baumstamm, aber wenn man genauer hinsah erkannte man das graue Gefieder des Tiers. Schnell zückte ich meine Kamera und schoss ein Foto und dank dem Zoom erkannte ich nun auch Details des Vogels die mir meine Sehkraft verwehrt hatten. Es handelte sich definitiv um einen der Greifvögel:
„Sieh an, sieh an. Glaubst wohl du könntest mich täuschen!“ flüsterte ich und näherte mich dem Baum so, dass ich die Vorderseite des Vogels sehen konnte. Der Habicht oder einer der Habichte? Ich war mir da immer noch nicht so sicher. Er schaute auf mich herab, direkt in meine Augen. Jetzt bloß nicht hektisch werden, bloß nicht vorschnell handeln und das Tier im schlimmsten Falle erschrecken und in die Flucht treiben. Alles was ich mir wünschte war etwas Zeit zur Beobachtung des Habichtes. Die Halsbandsittiche näherten sich ihm und ich bemerkte die Angriffslust in seinen Augen. „Ja, die können schon ziemlich nerven!“ dachte ich.
„Was machen Sie denn da?“ Irritiert drehte ich mich in die Richtung aus der ich die Männerstimme vernahm. Ein älteres Ehepaar kam auf mich zu. „Was gibt es denn dort zu sehen? Möchten Sie uns darüber aufklären!?“ Eigentlich hatte ich kein Bedürfnis nach Small-Talk mit den Herrschaften und konzentrierte mich stattdessen auf den Fokus meine Kamera, um den Habicht zumindest einmal von vorne fotografiert zu haben. „Ein Habicht sitzt dort im Baum!“ rief ich den Leuten zu und hoffte den Vogel dadurch nicht allzu sehr gestört zu haben, richtete erneut die Kamera auf ihn und schoss folgendes Foto:
„Ein Habicht? Wo? Ach das bilden Sie sich bestimmt ein!“ Diese Behauptung des älteren Herrn konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und ging entschlossen auf ihn zu. „Oh doch, doch. Sie können mir ruhig glauben. Warten Sie, ich zeige Ihnen ein paar Fotos, die ich grade gemacht habe!“ Ich hielt ihm meine Kamera hin und zeigte ihm die Aufnahmen. „Das gibt es doch gar nicht. „sagte er und blickte mich mit großen Augen an. „Scheinbar schon, ich habe ihn schon öfter hier angetroffen.“ Seine Frau die am Rollator einen müden Eindruck machte wollte das Foto ebenfalls sehen, also zeigte ich es ihr, den Blick immer wieder nach oben zum Habicht gerichtet, der uns aufmerksam beäugte. „Bitte verrat mein Geheimnis nicht jedem!“ – So in Etwa empfand ich seinen Blick und fühlte mich schuldig.
Aber was sollte ein altes Ehepaar schon groß gegen ihn anrichten? Dennoch, mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich besser nicht jedem Besucher im Park anvertraute wer hier alles heimisch war. Die Verfolgung der Greifvögel wird zwar seit langer Zeit strafrechtlich verfolgt, aber mein Gewissen meldete sich dennoch schrill und laut.
„Bitte erzählen Sie es nicht Jedem!" sagte ich eher zu mir selbst aber der Herr lächelte und nickte: „Sind Sie eine Greifvogelexpertin?!“
Ich hielt inne und schüttelte mit dem Kopf:“ Quatsch, nein ich habe diesen Vogel bloß hier entdeckt und mir vorgenommen ihn etwas zu studieren und herauszufinden ob es hier noch mehr von ihnen gibt, aber Expertin bin ich nicht. Nicht einmal Laie. Ich fotografiere bloß gerne, naja und ich eigne mir derzeit etwas Grundwissen über Vögel an!“
„Schade, ich dachte Sie könnten mir nun ein kleines Referat zu dem Habicht halten! Naja, dann Frohe Weihnachten und vielleicht trifft man sich hier ja mal wieder!“
Ich nickte dem Mann freundlich zu und dachte über seine Worte nach.
Expertin?
Er hatte Recht, ich sollte zumindest in der Lage sein etwas mehr als zwei Informationen über die Greifvögel weiter zu geben.
Glücklicherweise hatte mir mein Bruder ein Buch über Greifvögel geschenkt.
Am Abend würde ich dieses anfangen zu lesen, so viel stand in diesem Moment fest.
Ich verabschiedete mich von den freundlichen Leuten und richtete meinen Blick wieder nach oben. Der Habicht saß immer noch dort und betrachtete mich.
Endlich hatte ich nun Zeit ihn ganz genau zu betrachten.
Den spitzen Schnabel, die großen und klugen Augen.
Ich prägte mir jedes Detail ein.
Die kräftigen Fänge und spitzen Krallen, alles an ihm sah stark und anmutig aus. Da es windig war bauschte sein Gefieder immer wieder auf und ich verliebte mich regelrecht in die Optik des Habichts.
Ich wusste in diesem Augenblick nicht mehr wen ich optisch hübscher fand: Mäusebussard oder Habicht? Die weißschwarzen Federn seiner Brust sahen wunderschön flauschig und weich aus. Er war wirklich ein hübsches Tier. Da er sitzen blieb und mich in seiner Gegenwart anscheinend als ungefährlich eingestuft hatte schoss ich das ein oder andere Foto:
Kurz darauf flog er weiter.
Ich dachte schon unsere gemeinsame Zeit hätte für den heutigen Tag ein Ende gefunden, sah aber, dass er sich bloß ein paar weiter auf einer Pappel niedergelassen hatte. Ich ließ mich auf einer Parkbank fallen, die eine gesunde Distanz zwischen dem Habicht und mir ermöglichte.
Endlich Zeit zum Bilder aussortieren.
Erstaunt stellte ich fest, dass ich über 30 Foto von dem Vogel geschossen hatte.
Der Habicht schaukelte währenddessen im Geäst der Pappel und machte einen entspannten Eindruck.
Ich sprach meinen Freunden Sprachnachrichten, teilte meine Begeisterung ungefragt mit und freute mich darauf ihnen später das ein oder andere Foto als Beweis zukommen zu lassen. „Übrigens Danke!“ rief ich dem Habicht zu.
Er saß weiterhin entspannt im Baum und beobachtete das Geschehen um ihn herum.
In diesem Moment wurde mir etwas bewusst: Die Greifvögel und ich haben einiges gemeinsam. Wir beobachten gerne was um uns herum geschieht. Sowohl sie als auch ich können Stunden damit verbringen, das Leben um uns herum auf uns wirken zu lassen. Sowohl sie als auch ich, bevorzugen es leise und unauffällig durchs Leben zu gehen. Unsere Sinne ähneln sich insofern, dass wir jede kleinste Bewegung und jedes noch so minimalste Geräusch innerhalb von Sekunden ausfindig machen können. So richteten der Habicht und ich auch im selben Moment den Blick gen Himmel als eine wahnwitzige Elster ihm auflauerte. „Nicht zu fassen, ist das Tier irre?!“ fragte ich mich und schaute mit offenem Mund dabei zu, wie es sich direkt neben den Habicht platzierte und ihn mit munteren Rufen versuchte zu verjagen. Meine Hände betätigten den Power-Knopf meiner Kamera und das erste Foto entstand. Die Elster glaubte durch ihr provokatives Verhalten zum Ziel zu kommen, erreicht jedoch rein gar nichts. Ich amüsierte mich köstlich als ich realisierte, dass der Habicht den Vogel ganz bewusst ignorierte. Wie als wäre die Elster unsichtbar blieb er sitzen und das entspannt. Die Elster wechselte währenddessen ihren Sitzplatz und landete in einem Ast über den Habicht. Sie beugte sich vor und versuchte eine Kopffeder des Habichts in den Schnabel zu bekommen.
Der Habicht ignorierte die Elster weiterhin und schaukelte tiefenentspannt im Ast. „Ob das normal ist?“ fragte ich mich, immerhin könnte der Habicht die Elster problemlos zu Futter verarbeiten, wenn er nur wollte. Scheinbar war es der Elster nicht bewusst. Diese gab nicht auf und landete erneut direkt neben dem Habicht, der sich nun doch zur Wehr setze und mit dem Schnabel nach ihr stieß, das Gebrüll der Elster wurde lauter, klang wie ein kleines beleidigtes Kind. Ich kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Rabenkrähen näherten sich dem Baum, scheinbar angelockt durch die Schreie der Elster und ich stellte erstaunt fest, dass der Habicht und die Elster plötzlich zu einer Einheit wurden. Die Elster rückte näher an den Greife heran während dieser mit blutrünstigen Blicken rauf zu seinen lästigen Feinden blickte. „Das gibt’s doch nicht!“ flüsterte ich und schoss folgendes Foto:
Die Elster und der Habicht hielten gemeinsam Ausschau nach den Krähen, die Elster links, der Habicht rechts. Gemeinsam bildeten sie mit dem Geäst ein „V“. Dann ganz plötzlich wurde es dem Greifvogel zu blöd und er schoss mit rasender Geschwindigkeit auf die Rabenkrähen zu, während die Elster entspannt im Baum sitzen blieb. Sie hatte bekommen was sie wollte oder? Die Pappel ganz allein für sich, während die Rabenkrähen vom Habicht in die Flucht getrieben wurden. Ich verfolgte die rasante Verfolgungsjagd des Greifvogels auf die Krähen bis sie schließlich gemeinsam verschwunden waren.
Später am Abend notierte ich mir wichtige Erkenntnisse der letzten Wochen:
1. Rabenkrähen reagieren oftmals aggressiv, wenn sich ein Greifvogel in der Nähe befindet
2. Der oder die Habichte im Park favorisieren den Walnussbaum
3. Sichtungszeiten:Gegen 13-15 Uhr nur gelegentlich später
4. Habichte jagen nicht unbedingt jeden Singvogel der sich ihnen nähert (oder war der Vogel gesättigt?)
5. Rabenkrähen und Elstern nutzen die Gegenwart von Greifvögeln aus, sei es drum, dass sie eine erhörte Chance auf Futter wittern oder weil Greifvögel tendenziell Futterneider und Feinde in die Flucht treiben
6. Rote Iris: Adulter Habicht Gelbe Iris: Jüngerer Habicht
p.s
Als kleinen Bonus habe ich euch hier noch eine Videoaufnahme des Habichts verlinkt:
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